Lieber "großer" Bruder Peter!
Als wärest Du noch unter uns, möchte ich all das niederschreiben, was ich Dir noch gerne gesagt hätte.
Ich bin immer noch sehr traurig darüber, daß ich mich nun nicht mehr mit Dir austauschen kann, weder telefonisch noch persönlich. In den letzten drei Jahren hatten wir so guten Kontakt zueinander wie nie zuvor. Dreimal habe ich Dich und Getty in dieser Zeit in Almere besucht, wo ich viel über Deine Zeit im Internierungslager in der Schweiz während des zweiten Weltkrieges, über Deine glückliche Kindheit (bevor ich in dieses Leben trat), über Deine Erlebnisse mit Geistheilern, Magieren und Hypnosetherapeuten und über Deinen letzten wichtigen Lebensabschnitt in der Freimaurer-Bruderschaft von Dir erfuhr. Wenn wir auch in unserem ganzen Denken, Fühlen und Verhalten sehr verschieden waren, so verbindet und verband uns auf jeden Fall ein recht wechselvoller Lebenslauf und das Freidenkertum. Einengungen vertrage auch ich überhaupt nicht, nur bin ich nach außen hin kein Rebell, sondern reagiere leider immer mit Depressionen. In unseren Weltanschauungen waren wir uns nicht einig, und es gab Zeiten, da hat Dich meine Sicht von Welt und Religion so sehr geärgert, daß Du einmal während eines Besuches bei uns in Pappenheim vorzeitig und zornig unser Haus verlassen hast, weil Du meine Äußerungen nicht ertragen konntest. Das war wohl in einer Zeit, wo Du von Getty getrennt lebtest. Jedenfalls war unser Kontakt erstmal für längere Zeit getrübt. Heute muß ich darüber lächeln, und wir haben ja auch bei einem meiner letzten Besuche davon geredet.
Ein Thema, das wir bei unseren Gesprächen immer ausgelassen hatten, waren familiäre Beziehungen. Aber in den Tagen meines letzten Besuches bei Euch vom 4. bis 11. Januar 2009 hat es Dich gedrängt, von mir zu erfahren, ob ich Dir jemals böse gewesen sei wegen der verheimlichten wahren Familienverhältnisse.
Dazu muß ich den Lesern dieses Blogs einiges erklären: Unsere Mutter starb wenige Tage nach meiner Geburt (dies kann man alles nachlesen in Deiner sehr lesenswerten Autobiographie "Aus anderem Hoz geschnitzt"), Du (und unsere Schwester Christiane) übernahmst die Patenschaft bei meiner "Nottaufe" am Tag der Beerdigung unserer Mutter, und dann zogst Du wieder in den Krieg. Ich wurde vorübergehend in einem Säuglingsheim untergebracht, bis nach drei Monaten unsere Kusine Ursula Stockinger den Haushalt übernahm (da war neben mir noch die fünfjährige Monika, und außerdem war Vati völlig hilflos ohne Frau). Wegen der Kriegswirren war dies die einzige Möglichkeit für Vati, daß er seine angeheiratete Nichte heiratete, denn andernfalls hätte sie als Krankenschwester in Berlin wieder ihren Dienst aufnehmen müssen. Sie kannte den Haushalt gut, da sie ein paar Jahre zuvor ein ganzes Jahr als Haushaltshilfe dort gewesen war. Unsere Mutter war außerdem Ursulas Patentante, die sie sehr geliebt hatte. Jedenfalls waren ihr Haushalt und Familie sehr vertraut.
Vier Monate nach dem Tod unserer Mutter schlossen sie den Bund der Ehe und fanden, daß es besser wäre, mich in dem Glauben aufwachsen zu lassen, daß Ursel meine richtige Mutter sei; zumal nach 11 Monaten ein kleiner Junge, Hans-Jörg, geboren wurde. Die älteren Geschwister wurden verpflichtet, mir nichts von den wahren Verhältnissen zu erzählen. So wuchs ich also in dem Glauben auf, daß Du nur mein Halbbruder seist, und Monika, Solita und Christiane meine Halbschwestern. Ihr hattet versprechen müssen, mir nichts zu sagen, obwohl ihr eigentlich nicht damit einverstanden wart.
Es tat uns beiden gut, endlich einmal über dieses bislang vermiedene Kapitel unserer Familiengeschichte zu reden; selbstverständlich war ich niemals irgend jemandem, und Dir schon garnicht, böse gewesen über die lange Verheimlichung. Aber als ich mit 18 Jahren die "Wahrheit" erfuhr, war mein allererstes Gefühl Freude darüber, daß Du mein "echter" Bruder bist, denn ich liebte vor allem Dich und Christiane ganz besonders. Auch meine alte Freundin Friedi aus der Kinderzeit schrieb mir jetzt, daß sie sich an Dich besonders gut erinnern kann, weil Du immer so viele Späße und Kunststücke mit uns machtest. Sie vergißt nie, daß Du einen Ball über unser großes Pfarrhaus werfen konntest. Auch weiß sie noch, wie Thom geboren wurde. Man erzählte uns damals, daß ein Klapperstorch der Nora und dem Peter ein Baby gebracht hätte. Leider hatte der Storch die Nora versehentlich ins Bein gebissen, so daß sie noch ein paar Tage das Bett hüten mußte, so wurde uns Kindern berichtet....
Ja, und dann erinnere ich mich, wie Du mir auf einem Waldspaziergang den Unterschied zwischen "Mann" und "Weib" erklärt hast. Dabei hast Du die beiden Worte so buchstabiert, daß sich der Mann einfach sehr annehmbar und elegant anhörte mit den Buchstaben Mm! und Aa! , während das Weib mit den Buchstaben ii! und bb! ekelhaft und abstoßend klang, und Du Dich bei dem "B" heftig schütteltest. Ich habe es heute noch in den Ohren!
So viele Erinnerungen werden plötzlich in mir wach...: Da waren mehrere Deiner Besuche bei uns in München, zusammen mit Getty und Barbara... und dann meine Besuche bei Euch in Amsterdam, auf dem Hausboot, in verschiedenen Wohnungen...mit verschiedenen Frauen... und der unvergessene Urlaub beim Zelten am Starnberger See, mit Emy und fünf oder sechs Eurer Kinder, die sich zumindest an einem bestimmten Tag dort zusammen gefunden hatten, als Giesela uns dort besuchte... das Scheiße-Erlebnis nachts auf dem Campingplatz, das Dich auch vor kurzem immer noch erheiterte...
Ich bin dankbar dafür, daß Du Deine unbekannte Reise in solch guter Weise antreten durftest. Adieu!
Deine "kleine" Schwester NELI.

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Kommentar von Emy am 16. Februar 2009 um 12:40pm
Liebe Neli,
Danke für deine herrliche Erinnerungen, wovon verschiedene so typisch Peter sind.
Über das für uns wirklich sehr tolle Scheisse-Erlebnis habe ich so eben hier am Computer wieder mal laut gelacht! Das war ja auch etwas, meinst du jetzt auch nicht?
Also, auch danke dafür.
Alles Gute und lass mich dich umarmen -
deine Emy

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